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Ein politisch-psychologischer Blick auf die US-Wahlen 2016

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Zum zweiten Mal seit dem BREXIT schauen die Europäer fassungslos auf Abstimmungsergebnisse eines befreundeten Landes. Dabei könnten wir uns auch in der europäischen Nachbarschaft bereits an bislang unvorstellbare Wahl- und Abstimmungsergebnisse gewöhnt haben. Die US-Wahlergebnisse liegen ja auch nur um wenige Prozentpunkte außerhalb des schon lange prognostizierten Bereiches. Fassungslos hätten wir schon lange sein können, dass die Hälfte einer vermeintlich zivilisierten Bevölkerung  menschenverachtenden, frauen- und ausländerfeindlichen Provokationen zujubelt, dass republikanische Regierungsmitglieder systematische Folter toleriert und gerechtfertigt haben, dass offensichtliche Kriegsverbrechen nicht geahndet wurden, dass Politiker ungebremsten Waffenbesitz als Maßnahme gegen Gewaltverbrechen propagieren, dass die absurdesten Verleumdungen mit klammheimlicher Freude hingenommen werden usw.

 

Unabhängig von dieser sehr persönlichen Kommentierung – wie ist das US-amerikanische Wahlergebnis wissenschaftlich zu erklären? Außer allgemein zugänglichen Umfrageergebnissen und veröffentlichten politischen und journalistischen Stellungnahmen können wir derzeit nur auf geschichtliche Entwicklungen und auf frühere Forschungen zu populistischen und rechtsradikalen Entwicklungen zurückgreifen. Was also können politisch-psychologische und sozialwissenschaftliche Forschungsergebnisse zur Erklärung des aktuellen Wahlergebnisses beitragen und was können wir daraus für unsere eigene Gesellschaft lernen?

 

In Zeiten wirtschaftlicher und politischer Unsicherheit wächst die Suche nach einfachen Lösungen. Viele Menschen können Unsicherheit und Komplexität schwer ertragen. Aber unter Stress und in Bedrohungssituationen sinkt bei allen Menschen die Toleranz für unüberschaubare Komplexität. Deshalb sind es vor allem die Modernisierungs- und Globalisierungsverlierer, die ungerechte wirtschaftliche Verhältnisse am eigenen Leib erleben und als Reaktion darauf vereinfachte Sichtweisen entwickeln. Genauso sind privilegierte Personen, die den Verlust ihrer Privilegien fürchten, anfällig für Simplifizierungen. Dazu gehört Schwarz-Weiß-Denken (in den USA auch im wörtlichen Sinne), Ausgrenzung des Fremden, simple Schuldzuweisungen, nostalgische Verklärung der guten alten Zeit, irrationale Verschwörungstheorien.

 

In undurchschaubaren Umbruch- und Krisenzeiten tauchen Untergangsfantasien auf: Die Weltuntergangstermine der Zeugen Jehovas und anderer Sekten, Oswald Spenglers „ Untergang des Abendlandes (1918), die nationalsozialistischen Warnungen vor der zionistischen Weltherrschaft,  Sarrazins „Deutschland schafft sich ab“ bis hin zu Pegidas oder Viktor Orbans Panikattacken und den absurden Chemtrail-Bedrohungen.

 

Untergangsfantasien entstehen also in Krisenzeiten, sie werden aber auch von Populisten erzeugt und instrumentalisiert. In existentiellen Krisen greifen Menschen nach den irrationalsten Strohhalmen; dies gilt für Wundermedizin gegen unheilbare Krankheiten ebenso wie für die vermeintlichen Retter gegen nationale Untergangsängste.

 

Hier liegt auch die Lehre, die wir aus den US-Wahlergebnissen für die  deutsche und europäische Politik ziehen können: Populisten, auch in etablierten Parteien, akzentuieren oder erzeugen angstauslösende Signale, verknüpfen sie mit Bedrohungsfantasien (Flüchtlings“ströme“, Verlust der nationalen Identität, Terror, Islamisierung usw.). Wenn sie dann ihre einfachen Lösungen anbieten (Lichtgestalt als Retter, Mauer, Obergrenze, wirtschaftlicher Isolationismus), dann erreichen sie damit vor allem diejenigen in der Bevölkerung, deren gesellschaftliche oder wirtschaftliche Lage bedrohlich, trostlos und hoffnungslos ist. Die Politik kann diesen populistischen Verführungen nur entgegenwirken, wenn sie sich selbst als handlungsfähig demonstriert und die großen zivilgesellschaftlichen Ressourcen unserer Gesellschaft weiterhin aktiviert. Private wie gesellschaftliche Ängste verlieren ihren Schrecken, wenn Wege zur Bewältigung einer Krise in glaubwürdige Weise sichtbar gemacht werden.

 

Siegfried Preiser

 


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